Visionsaufgabe

Aufgabe oder AUFgabe?

Dass das Wort „Aufgabe“ mehrere Bedeutungen hat, und hier ganz anders verstanden werden könnte, als ich es meine, fiel mir jetzt erst auf. Aber wer weiß, wofür das gut ist 😉

Ich nehme mal meine Lösung vorweg: Es geht also nicht um die VisionsSUCHE, sondern um das Gegenteil, die Visionsaufgabe, oder den Visionsverlust. Und das fiel mir gestern wie Schuppen von den Augen.

Ich kam in dieses Leben mit einer Mission und damit auch mit einer Vision. Doch über viele kleine Begebenheiten in meinem Leben kam ich mehr und mehr von meiner Vision im Leben ab. (Ob ihr daran glaubt oder nicht, jeder von uns kommt möglicherweise mit einer bestimmten Mission zur Welt, oder vielleicht auch nicht – wer weiß.)

Ich wuchs in einem politisch engagierten Elternhaus auf, in dem Gerechtigkeit für die Welt eine bedeutende Rolle spielte. Aus diesem Grund habe ich vielleicht auch diese Familie gewählt. Vielleicht auch aus anderen Gründen. Jedenfalls war Gerechtigkeit immer ein Thema und somit hatte ich bereits als Kind immer einen ganz tiefen Gerechtigkeitssinn. Jede Ungerechtigkeit bereitete mir Herzschmerz, machte mich wütend, und ich träumte davon, die Welt einmal zu verändern 😉

In der Schule sprach ich aus, was sich oft keiner traute, und auch zu Hause war ich oft sehr unbequem.

Ich wollte eine eigene Partei gründen, die Welt von Hass und Krieg befreien, Weltherrscher werden und die Welt mit Liebe regieren. Das war mein kindlicher Traum, ja, meine Vision.

Und dann passierte das Leben.

Ich selbst erfuhr Ungerechtigkeiten, gegen die ich mich (scheinbar) nicht wehren konnte. Ich erlebte Ungerechtigkeiten mit, die ich hilflos beobachtete, und irgendwann trieb mich nur noch der Fluchtinstinkt. Weg.

Die Vision rückte zurück.

Im Studium erfuhr ich, was „Forschung“ wirklich bedeutet und ich nahm an einem Life Science Event teil, das einen Glaubenssatz in mir säte, den ich damals in meiner Überforderung und Hilflosigkeit dankend aufnahm und seither fleißig wässerte: Wir können nicht allen helfen, und die Welt nicht retten. Das mag erstmal banal klingen, und wenn ich es selbst lese, denke ich auch „Naja, ist ja so!“, aber bei mir machte dieser Satz etwas ganz Essentielles, was ich gestern erst begriff: Ich gab auf. Ich gab auf, daran zu glauben, dass es eine Welt ohne Hass und Krieg, ohne Ungerechtigkeiten geben kann, und ich berief mich dabei auf dieses Event, diesen Menschen, der diese Formulierung wählte, und ich fühlte mich irgendwie auch erleichtert. Denn all die Jahre zuvor hatte ich immer wieder gespürt, wie diese Ungerechtigkeiten auf der Welt, die Nachrichten über Hass, Gewalt und Krieg mich nur noch traurig machten, weil ich mich so hilflos fühlte. Die Wahrheit war jedoch: Ich hatte meine Vision ein Stück verloren. Und dieser Satz bestätigte meinen Visionsverlust, gab mir sozusagen die Erlaubnis, weiterhin meine Vision aufzugeben.

Die Vision rückte weiter zurück.

Damals entschied ich mich zudem dazu, keine Nachrichten mehr anzuhören, weil ich es ja sowieso nicht ändern kann UND weil das bei allem vielleicht nicht so Guten das Beste war, was ich machen konnte. Heute lebe ich, was das angeht, viel ruhiger. Aber das ist eine andere Geschichte, die ihr gern in meinem Blogbeitrag zum Thema Nichtwissen nachlesen könnt 😊

Später zog ich mich auch mit meiner politischen Meinung zurück, wählte Parteien, die „sowieso nicht gewinnen“ oder ging gar nicht mehr wählen.

Die Vision rückte noch ein Stück zurück.

Rückblickend suchte ich mir sogar Partner, mit denen ich diese Aufgabe meiner Vision untermauern konnte, weil NICHT das Gute siegte, weil NICHT die Liebe siegte. Weil ich zwar immer wieder in jedem den guten Kern sah und dachte, mit genügend Liebe würde der schon zum Vorschein kommen, aber alle zeigten mir nur (scheinbar) immer wieder, dass dem nicht so ist. Dass die Liebe NICHT stark genug sein kann. Dass das Gute in uns NICHT immer gelebt werden kann oder MÖCHTE.

Die Vision rückte immer weiter weg.

Die Wahrheit?! Ich hatte mich selbst und meine Vision aufgegeben. Ich hatte mir meine Vision falsch machen lassen und hatte mir im Außen Bestätigung dafür gesucht, dass sie wirklich falsch ist. Jeder demonstrierte mir, dass es das, woran ich glaube, nicht gibt.

Ich habe gekämpft, mit mir gerungen, stand am Abgrund, dann wieder mitten im Leben, wieder am Abgrund… Da war dieser Anker in mir, den ich verleugnete und dennoch immer spürte. Meine Seele, die mich immer wieder dazu anhielt, in mich zu horchen, meinem Herzen zu folgen. Ich las Bücher, wollte die Welt verstehen, die Menschen verstehen, und: ICH wollte verstanden werden. Bei jedem Buch, in dem jemand etwas von dem beschrieb, was ich fühlte, spürte ich diese Erleichterung „Gott sei dank, ich bin nicht verrückt. Auch andere denken so, nehmen das wahr, wissen das, fühlen das, und haben sogar ein Buch darüber geschrieben!“

Ich renne seit nunmehr fast der Hälfte meines Lebens zu Therapeuten, nehme an Workshops teil, besuche Seminare, und wisst ihr warum? Weil ich da auf Menschen treffe, die mich verstehen (wollen), die ähnlich denken, fühlen, wahrnehmen. Die ihre Vision auch verloren oder bereits wiedergefunden haben. Ich such(t)e in all den Jahren einfach nur nach einem Umfeld, das mich wieder auf meinen Weg bringt, mich wachküsst.

Schon soooo lange frage ich mich, warum ich nicht ins Tun komme, warum mich all diese alltäglichen Dinge nicht erfüllen, warum dieses Leben sich oft so sinnlos für mich anfühlt, warum ich ständig zu solchen Events fahren und dort stundenlang „arbeiten“ könnte (ja, die Arbeit mit uns selbst ist auch Arbeit), aber mich auf dem 1. Arbeitsmarkt weder 3 noch 8 Stunden am Tag arbeiten sehe, ganz davon abgesehen, dass ich mich dort nicht wohlfühle.

Vor 3 Jahren habe ich mich sozusagen selbst eingewiesen. Ich war sechs Wochen in einer psychosomatischen Klinik. Ich saß dort mit all meinen Themen und gleichzeitig hätte ich am liebsten selbst die Gruppentherapien führen wollen. Ich wusste so viel und war doch selbst völlig handlungsunfähig. Und dann passierten dort einige befreiende, wenn auch schmerzliche Dinge. Ich begegnete meinen eigenen Themen nochmal auf ganz anderen Ebenen, hörte nochmal ganz andere Perspektiven. Eine Therapeutin sagte zu mir, sie kenne nur wenige Frauen, die sooo bestrebt seien, eine gute Mutter zu sein, wie ich. Das war Balsam, ja, aber es war auch erschütternd, denn unter diesem ganzen „Ich will eine gute Mama sein“-Druck verliere ich mich immer wieder selbst und bin am Ende immer wieder nur eine Hülle für meine Kinder (und für meinen Mann noch dazu).

Und dann saß ich da in der Runde und gab mal wieder einen Funken meines Glaubens und meiner Vision zum Besten, und trat etwas an, was ich zunächst gar nicht bemerkte. Direkt neben uns im Nachbargebäude war die Forensik. Die anderen schauten immer mal hin und bemerkten, dass es ihnen Unbehagen bereitete. Irgendjemand sagte etwas Bewertendes, und sofort sprangen mein „Gutmensch“und mein Gerechtigkeitssinn in mir an und ich sagte, dass das ja auch nur Menschen mit einer Geschichte sind, die etwas Schlimmes erfuhren in ihrem Leben, und dass sie ja schließlich nicht so geboren wurden. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass eine meiner Mitpatienten sexuellen Missbrauch erlebt hatte. Das hätte an meiner Aussage nichts geändert, aber dennoch wäre ich vielleicht zurückhaltender gewesen. ABER als dieses ganze Thema dann auf dem Tisch lag, kam etwas in Gang, und durch meine ungewollt gnadenlose Ehrlichkeit konnte etwas in Heilung kommen. Warum? Weil es eine andere Perspektive gab. Und auch wenn ich selbst, damals beim Lesen von Byron Katies Buch „Lieben was ist“, erst sehr pikiert war, so muss ich ihr doch beipflichten: Jedes Verhalten eines anderen Menschen hat immer auch etwas mit uns selbst zu tun. Und GENAU DARÜBER kann dann die Heilung geschehen. Ansonsten bleiben wir im Opfermodus, wiederholen das Erlebnis wieder und wieder vor unserem inneren Auge, setzen uns selbst wieder und wieder dem Erlebten aus, bleiben im Trauma gefangen, denn der  Täter wird es (oft) weder einsehen noch kann er es rückgängig machen. Diese Ansicht ist krass, ich weiß, aber sie birgt so viel Wahrheit und Freiheit, und wir dürfen das immer wieder üben. Betrachten, fühlen, Perspektive wechseln, verzeihen, loslassen, atmen.

Dieses Ereignis ließ mich wanken. Kann ein Opfer im Täter etwas Gutes sehen? Kann ein Opfer sich selbst mit in die Verantwortung für das Geschehene nehmen? Könnte ich das? Das ist heftig, aber Byron Katie begründet es so glasklar: Wenn wir es nicht tun, sind wir im Widerstand, und Widerstand macht unser Leben schwer und unseren Körper krank. Annahme ist der Schlüssel. Das war im Übrigen auch das Credo, das ich mit nach Hause nehmen sollte. Die absolute Annahme, die radikale Akzeptanz meiner Symptome. Ich fand es bekloppt! 😉

Jedenfalls… um jetzt mal den Bogen zu schlagen zu gestern *haha* … Durch eine Idee meiner Schwester, mit ihr zum Gospelkirchentag nach Essen zu fahren, und der Entdeckung dann dort, dass es ein Chormusical über Martin Luther King gibt, bei dem ich nun mitsinge, machte sich etwas in mir breit, was ich auf meinem Lebensweg immer mal wieder wahrnahm, weil es sich immer mal wieder in bestimmten Situationen zu Wort meldete, wenn ich am eigenen Leib das soziale System erlebte, wenn ich von anderen hörte, welche Hürden sie überwinden müssen, oder wenn ich sowas wie Corona miterlebte… Da meldet sich ganz intensiv dieser Rebell in mir. Dieser Freiheitskämpfer. Dieser Gerechtigkeitsvisionär. Oft mit einer ganz banalen Frage, die oft ja eher so salopp dahergesagt wird: „Wo leben wir denn bitte?“

Also mal ehrlich, ihr Lieben, in welcher Welt leben wir denn, und vor allem: In welcher Welt WOLLEN wir leben?

Ich kämpfe seit 8 Jahren für meine Beziehung, meine Ehe, meine eigene kleine Familie. Immer wieder gebe ich auf, sehe keinen Sinn darin, fühle mich ausgelaugt, am Ende, kraftlos, allein, desillusioniert. Bin wütend, auf mich, auf das Leben und alle Menschen um mich herum. Und dann rappel ich mich wieder auf. Und genau DAS ist es! Ich glaube an die Liebe. Noch immer! Ich glaube an Gerechtigkeit in der Welt! Und ich möchte dafür einstehen. Nicht um ein Held zu sein (auch wenn das ein netter Nebeneffekt wäre 😉), sondern um etwas in diese Welt zu tragen, irgendwann etwas in dieser Welt zu hinterlassen, was geprägt ist von Liebe und Frieden.

Schon damals in der Schule im Geschichts- und Deutschunterricht haben mich diese Menschen interessiert, berührt und bewegt, die für etwas kämpften, die für ein Ideal, für Frieden und Gerechtigkeit, für ihren Glaube an das Gute alles gaben.

Und da schließt sich der Kreis mit dem Martin Luther King Chormusical. Es musste so kommen.

Meine Visionsaufgabe führte mich also sozusagen über viele Schritte und Steine, und über Gospel und Martin Luther King 😉, zurück zu meiner Vision, zu der ich hier auf der Welt angetreten bin. UND nicht umsonst schreibe ich schon immer für mein Leben gern und viel, und nicht umsonst höre ich mich selbst immer wieder sagen „Darüber könnte ich ein Buch schreiben“ oder „Sorry, für den Roman, den ich dir geschrieben habe.“ Ich liebe das Schreiben und ich liebe es, etwas in die Welt zu tragen, woran so viele nicht mehr glauben, weil wir geprägt und begleitet sind von gewaltvollen Nachrichten und Erfahrungen, von lieblosen Mitmenschen, von Wut, Kampf, Machtspielen und Krieg. Ich werde immer wieder über die Liebe schreiben, und über das Leben, über unsere Realitäten, unsere Träume und Visionen. In Büchern, in Blogbeiträgen, in Storys (www.story.one.de). Bis die Liebe wieder Einzug hält bei und in uns allen!

In meinen Adern fließen Traumata der Verfolgung und Vertreibung, der Flucht und des Krieges. Angst, Scham, Schuld, Getriebensein, unterdrückte Gefühle sind meine ständigen Begleiter. Mir kommen die Tränen, wenn ich diese Zeilen schreibe, weil ich all das all die Jahre wahrnahm und es mich schwer machte.

Als unsere Tochter geboren wurde, war mein erstes Gefühl nicht Glück, war mein erster Gedanke nicht „Wow, wie hübsch, ich bin so froh!“, sondern mein erstes Gefühl war Angst, mein erster Gedanke war „Wow, jetzt kann ich zwei Menschen verlieren“ (meinen Mann und meine Tochter). Das ließ mich damals tief blicken, erschütterte mich und bereitete mir viel Kopfzerbrechen. Ich gab alles für dieses kleine Wesen, hatten wir ja bereits 7 Monate um sie gebangt (lies dazu gern mehr in meinem Buch 😉), und gleichzeitig fühlte ich mich so leer. Abgeschnitten von Freude und Glück. Jedes Mal, wenn ich mit ihr spazieren ging und in die Weite blickte, fragte ich mich „Wozu? Wozu mache ich das hier? Was soll ich diesem Kind mitgeben auf seinem Weg? Wozu bin ich hier?“

Wir hatten uns ein halbes Jahr zuvor für ein Haus in der Abgeschiedenheit entschieden, wollten uns selbst verwirklichen, uns selbst versorgen. Ich wollte meinem Mann und unserem Kind alles geben, doch ich hatte nichts zu geben. Ich war leer.

Denn meine Vision war weg.

Unsere Tochter trägt diese ganze Angst, diese ganze Schwere ebenfalls, und ich möchte ihr und mir (und allen) endlich zeigen, dass wir diese Schwere nicht tragen müssen. Dass wir an Leichtigkeit und Liebe glauben können, es leben können, und dass ich genau dafür angetreten bin auf dieser Welt.

Ihr könnt mich für einen Spinner halten, oder eine Spinnerin 😉 Ihr könnt mich für alles halten, was ihr wollt – das ist ok 😉

Oft stelle ich mich möglichweise auch über andere, wenn ich mit meinen Idealen um die Ecke komme. Und oft habe ich mich selbst immer wieder dafür falsch gemacht. Mein Preis, den ich dafür zahle, dass ich mich selbst falsch mache, besteht aus Stimmungsschwankungen, depressiven Verstimmungen, einer super schnellen Gereiztheit und Überforderung, …, weil ich immer wieder mit meinem Leben hadere, weil andere mir sagen, was ich zu denken und zu machen habe, und ich, wenn ich ihnen glaube, so massiv gegen mich selbst arbeite, weil ich mich und meine Vision verleugne, unterdrücke oder gar verwerfe.

Also mache ich meine AUFgabe nun wieder zu meiner Aufgabe und werde weiterhin schreiben, um sowohl in eure Herzen als auch in mein Herz wieder die Hoffnung und die Liebe zu bringen, und die Kraft, dafür einzustehen. Einfach weil ich noch immer daran glaube!

Das heißt nicht, dass ich DAS Patentrezept gefunden habe und lebe. Leider nicht. Aber es heißt, dass ich dranbleibe. Und dass ich, auch wenn kein anderer mich versteht, ich mir selbst und meiner Vision treu bleibe! Für die Liebe!

Aho!

 

Consent Management Platform von Real Cookie Banner